Die Filmstarts-Kritik zu Der junge Karl Marx (2024)

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Der junge Karl Marx

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

3,5

gut

Der junge Karl Marx

Von Michael Meyns

Zum „drittbesten Deutschen“ wurde Karl Marx vor einigen Jahren gekürt, doch was ist über ihn in der breiten Öffentlichkeit im Jahre 2017 wirklich noch bekannt? Mehr als ein vages Erfinder des Kommunismus dürfte vielen nicht einfallen und allein deswegen wird Raoul Pecks Drama „Der junge Karl Marx“, das als Berlinale Special bei der Festivalausgabe 2017 präsentiert wurde, eine gewisse aufklärerische Wirkung nicht verfehlen. Wenn der von August Diehl („23“, „Die kommenden Tage“) verkörperte Marx im Film erhebliche Zeit beim Saufen, Rauchen und Armsein verbringt, dann kommen die biografischen Fakten zu ihrem Recht. Der Versuch, die komplexe Gedankenwelt des Philosophen und Gesellschaftstheoretikers auf die Leinwand zu bringen, erweist sich dagegen als erheblich schwieriger, gelingt aber immerhin zumindest in Ansätzen.

1843. Der 25-jährige Karl Marx (August Diehl) fristet als Redakteur der Rheinischen Zeitung ein karges Dasein und lebt mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps) in ärmlichen Verhältnissen. Bald wird das Blatt verboten und Marx zieht weiter nach Paris, wo er seinen zukünftigen Freund und Kompagnon Friedrich Engels (Stefan Konarske) kennenlernt. Der hat als Sohn eines Fabrikbesitzers die elende Lage der Arbeiterklasse sehen können, während Marx die Not sogar am eigenen Leib erfahren hat. Gemeinsam mischen sie mit ihren revolutionären Ideen die intellektuelle Szene Europas auf, die sich immer mehr radikalisiert. Schließlich mündet der Kampf gegen die Ausbeutung der Arbeiter in die Gründung des Bundes der Kommunisten und die Niederschrift des Kommunistischen Manifests. Doch ist dieser historische Moment ein Anfang oder ein Ende?

Die Filmstarts-Kritik zu Der junge Karl Marx (1)

Seit mehr als 130 Jahren ist Karl Marx inzwischen tot, doch seine Theorien scheinen aktueller denn je. Die Zweifel am kapitalistischen System nehmen wieder zu – das zeigt beispielsweise auch der bemerkenswerte Erfolg eines hochwissenschaftlichen Buchs wie Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ – und der Wunsch nach einer Alternative, nach einer gerechteren Welt, nach der Überwindung von Klassenunterschieden wird dringender. Unsere Welt des frühen 21. Jahrhunderts und die Welt des frühen Industriezeitalters, wie sie in Raoul Pecks Film geschildert wird, muten auf den ersten Blick zwar völlig unterschiedlich an, sind sich beim zweiten Hinsehen aber ähnlicher als uns lieb sein kann.

Damals machten die Fabrikbesitzer ihr Vermögen durch Unterdrückung, Ausbeutung und kaum verhohlene Sklavenarbeit, heute sind die Missstände trotz aller Verbesserungen vor allem im globalen Maßstab immer noch eklatant. Doch wie ist eine gerechtere Welt zu erlangen? Vor dieser Frage steht auch der junge Karl Marx, den der aus Haiti stammende Regisseur Raoul Peck („Lumumba“, „Mord in Haiti“) als virilen Helden inszeniert, der raucht, trinkt, mit seiner großen Liebe Jenny eine leidenschaftliche Ehe führt - und fast nebenbei auch ein großer Denker ist. In manchen Momenten wirkt „Der junge Karl Marx“ da wie ein oberflächlicher Ausstattungsfilm, in dem die Kamera sich geradezu im Elend und Dreck der Unterschicht suhlt, die verlumpten Kostüme und die verrauchten Versammlungsräume zur Schau stellt. Ganz unvermittelt verwandelt sich der Film dann aber immer wieder in ein thesenhaftes Politdrama, dem vor allem Hauptdarsteller August Diehl immer wieder rhetorischen Glanz verleiht.

Fast im Minutentakt handelt Raoul Peck, der für seine ebenfalls bei der Berlinale zu sehende Dokumentation „I Am Not Your Negro“ übrigens für den Oscar 2017 nominiert ist, in jenen Passagen wichtige Stationen in Marx‘ Leben und in der Weltgeschichte ab: Für die Entwicklung des Marxschen Denkens wichtige Figuren wie die Anarchisten Mikhail Bakunin oder Pierre-Joseph Proudhon haben kurze Auftritte, die Handlung wechselt zwischen den Schauplätzen Paris, Brüssel und London – die Erzählung kommt nur gelegentlich zur Ruhe. Dieser Parforceritt endet mit einem grandiosen Moment: Als 1848 der Bund der Kommunisten gegründet wird, scheint die Verwirklichung der Vision einer anderen, besseren, gerechteren Welt tatsächlich möglich. Marx hat mit noch nicht mal 30 Jahren sein wichtigstes Werk getan. Wie seine Theorien in der Folge verändert, verklärt, missbraucht, aber auch weitergeführt wurden, deutet Peck im Abspann an, in dem er in dokumentarische Aufnahmen einen Bogen bis in die Gegenwart schlägt: Bilder von Krieg und Unterdrückung stehen dabei neben Größen wie Martin Luther King oder Nelson Mandela, die auf ihre jeweils eigene Art mal bewusst, mal unbewusst Marx‘ Ideen und Ideale hochgehalten haben. Und so steht am Ende dieses manchmal zerfahrenen, aber immer anregenden Films die ansteckende Überzeugung, dass es ebenso nötig wie lohnenswert ist, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.

Fazit: Teils klassisches Biopic, teils Thesenfilm, teils Agitationskino: Raoul Pecks „Der junge Karl Marx“ ist zwar nicht immer klar fokussiert, aber dafür anregend vielschichtig.

Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Der junge Karl Marx“ als Berlinale Special gezeigt wird.

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